In diesem Artikel schauen wir uns an, wie du die Macht der Medienpsychologie nutzen kannst, um die Irrationalität von Angst und Gier auf Twitter zu steuern. Der Artikel stellt das wissenschaftlich basierte Working Paper mit dem Titel „Bitcoin – wie Social Media Privatanlegende in ihrem Handeln beeinflusst“, vor.
Bitcoin ist, plakativ ausgedrückt, digitales Gold: Das Angebot ist fixiert und somit das härtere monetäre Gut als klassische Fiatwährungen. Der Wert gegenüber dem USD stieg zwischen 2011 und 2021 um durchschnittlich 230 % pro Jahr, was es zur erfolgreichsten Anlageklasse der Welt macht. Erfolg zieht Privatinvestorinnen und -investoren an. Diese informieren sich oftmals über Social-Media-Kanäle wie Twitter über Trends und lassen sich vom herrschenden Sentiment beeinflussen. Die Eintrittsbarrieren sind tief. Jeder hat schnell ein Bitcoin-Wallet erstellt und ist Teil der Bewegung.
Wenn ein Preis ohne fundamentale Ursache stark steigt, erhöht sich dadurch der ebenfalls nicht fundamental bedingte Spielraum nach unten. Die hohe Volatilität ist ein Merkmal des noch jungen Marktes. Die Mehrheit der Privatinvestorinnen und -investoren kann mit diesem Druck nicht umgehen. Die natürliche Eigenschaft des Menschen, sich durch Emotionen leiten zu lassen, führt dazu, dass Neueinsteigende oft am Ende eines Aufschwungs die höchsten Preise zahlen und diese Positionen bei einer Preiskorrektur in Angst vor dem totalen Zusammenbruch mit Verlusten verkaufen.
Um die eigenen Emotionen im Umgang mit der volatilen Anlage Bitcoin zu verstehen, wollte ich die Hintergründe und Zusammenhänge von Geld und Medienpsychologie mithilfe von Modellen, Theorien und historischem Kontext miteinander verbinden. Da es dazu (fast) keine Literatur gibt, nutzte ich die Bachelor-Arbeit, um zu dieser Problemstellung mittels qualitativer Datenerhebung (Fachinterviews) zu forschen. Das nun auf Zenodo veröffentlichte Working Paper stellt die Essenz der über 100-seitigen Bachelor-Arbeit dar.
Du könntest heute Millionär sein
«Hättest du 2013 bloss ein paar hundert Franken in Bitcoin investiert, könntest du heute Millionär sein», dies gab ein Interviewpartner während der Datenerhebung schelmisch zu Protokoll. 40 Bitcoin sind beim heutigen Preis von 25’000 CHF pro Coin nötig, um sich Bitcoin Millionär nennen zu können. Vor 10 Jahren waren diese 40 Bitcoin für rund 800 CHF (20 CHF pro Coin) kaufbar.
Die enormen Kursgewinne sind das stärkste Narrativ, das Privatinvestierende in den Markt hineinzieht. Die Gefahr, die Stimmung schaukelt sich in bullischen Phasen hoch. Von März bis April 2021, nach einem starken Preisanstieg, wurden 110 Beiträge mit dem Schlagwort „Bitcoin“ und über 500 „Gefällt-mir-Angaben“ analysiert. 97 berichteten positiv, sieben neutral und lediglich sechs skeptisch. Die meistverbreitete Beitragsart sind positive Preisprognosen. Diese generieren Klicks, haben das Potenzial, FOMO (Fear of missing out – Angst, etwas zu verpassen) auszulösen und Privatanlegende zu unüberlegten Käufen zu verführen.
Wie stark ein Individuum auf positiv, respektive in einer Phase starken Preiszerfalls auf negativ konnotierte Informationen reagiert, und ob eine Handlung daraus entsteht, ist vom Motiv und den erlebten Emotionen eines Rezipienten, sowie dem Verhalten der konsumierten Influencer abhängig.
Der Uses-and-Gratifications-Ansatz geht davon aus, dass sich Rezipienten für das Medium entscheiden, das ihre Bedürfnisse am besten befriedigen kann. Je nachdem sucht eine Person Informationen, Unterhaltung, persönliche Identität (Bestärkung eigener Werte) oder die Integration und soziale Interaktion (Austausch unter Gleichgesinnten). Ein oder mehrere Motive werden bei der Medienwahl befriedigt.
Das Involvement-Konzept beschreibt, dass sich ein Rezipient auch Tage nach dem Lesen eines Artikels noch mit dem Inhalt beschäftigen kann, wenn die Person direkt von den Entwicklungen oder den vertretenen Ansichten betroffen ist. Dies heisst aber nicht, dass sich die Einstellungen nachhaltig ändern lassen. Je stärker ein beurteilendes Individuum in ein Thema involviert ist, desto weniger lässt es sich durch Überzeugung von anderen Meinungen beeinflussen. Das Wechselspiel zwischen den Emotionen „Gier“ und „Angst“ und die daraus resultierende erlebte Spannung wird über Zeit und mit Erfahrung kleiner.
In der heutigen, global vernetzten Welt ist es zunehmend schwierig geworden, die Clickbater und Scammer von den wertvollen Inhalten mit starken Communities auseinanderzuhalten. Das bedeutet, dass eine anlegende Person, die sich über Twitter zum Thema Bitcoin informieren möchte, zuerst die Arbeit machen sollte, in eigener Recherche „den Schrott von den guten Quellen zu trennen“. Ein Investment sollte nie aufgrund nur einer Meinung oder Quelle getätigt werden.
Weshalb lassen sich viele so einfach beeinflussen?
Diese zentrale Frage lasse ich von den interviewten Fachpersonen beantworten, um eine weitere Perspektive zu eröffnen und Einblick in die Empirie des Working Papers zu geben:
Es gibt viele privat investierende Personen, die keine Ahnung haben, was Bitcoin ist und welche Funktionen es anbietet und trotzdem Bitcoin im Portfolio halten (Senior Manager bei Knowledge Lab AG (Digitalisierung des Bankensektors)).
Finanzielle Bildung ist in der Bevölkerung ein noch viel zu unbedeutendes Thema. Der Umgang mit Geld und Investments wird in der Schule nicht gelehrt, weshalb viele Marktteilnehmende mit ihrem Unwissen und den daraus entstehenden emotionalen Reaktionen Geld verlieren (Mitgründer von House of Satoshi (u.a. Bitcoin Schulungen)).
Falls die Investition ins Minus gehen sollte, kippt meist die Stimmung. Doch Verluste und Gewinne materialisieren sich nicht, wenn man sie nicht auszahlen lässt. «Ich behaupte, 9 von 10 Personen halten das emotional nicht durch. Die halten die Gewinne und monetarisieren die Verluste. Da muss man knallhart sein». Eine Privatperson kann sich kaum auf diese emotionalen Spannungen vorbereiten. Da gehen alle durch, die zum ersten Mal Geld investieren. Wichtig ist, dass man aus den gemachten Fehlern und Erfahrungen lernt. «Es gibt eine uralte Weisheit, die man jedem Privatinvestor eintrichtern sollte: Du kannst zwei Dinge nie erwischen, den Top und den Boden. Es wird auch immer einen Anlagewert geben, der mehr Gewinne gebracht hätte» (Ehemaliger Direktor der Schweizerischen Bankiervereinigung).
Fazit
Für mich kristallisierte sich während den Gesprächen heraus, dass eine Mischung aus fehlender finanzieller Bildung, wenig Erfahrung, Gutgläubigkeit, Emotionalität und fehlendem Anlagehorizont Privatanlegende in Bitcoin um ihre Gewinne bringt, respektive sie so beeinflusst, irrationale Entscheidungen zu treffen. „Einfaches Nichtstun“ ist in einem Markt, der mittel- bis langfristig nach oben geht, historisch am besten.
Wer in Bitcoin investiert (spekuliert), um schnell reich zu werden, wird sich ziemlich sicher die Finger verbrennen. Wer sich Tiefer mit den fundamentalen Eigenschaften auseinandersetzt, wird sich von der volatilen Art und der News Lage nicht mehr leicht aus dem Markt drücken lassen.
Manipulation über Medien ist keineswegs ein neues Phänomen und die Mediengeschichte zeigt, dass es sich kaum mit Regulierung eliminieren lässt. Social Media beschleunigen die Wirkung von Beiträgen und vergrössern den Wirkungsraum, wodurch sich das Problem akzentuiert. Mein Ziel ist, zur kritischen Auseinandersetzung mit Medien zu motivieren, im Wissen, dass dies global gesehen ein schwieriges Unterfangen darstellt. Immerhin ist die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit Medien und den eigenen emotionalen Reaktionen in allen Lebensbereichen von erheblichem Nutzen.
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